In letzter Zeit wurde vermehrt die Frage gestellt, welche – und in welchem Umfang –
Brandschutzanforderungen bei Maßnahmen in bestehenden Gebäuden gelten. Wir
nehmen dies zum Anlass für nachfolgende Hinweise:
1. Bestandsschutz
1.1 Bestandsgeschützt ist eine
bauliche Anlage, wenn sie genehmigt und genehmigungs-konform errichtet worden
ist ("formeller Bestandsschutz")
oder
wenn sie zum Zeitpunkt ihrer
Errichtung dem geltenden Recht entsprochen hat ("materieller
Bestandsschutz") und danach jeweils nicht rechtswidrig geändert
worden ist. Bestands-geschützt ist die bauliche Anlage unabhängig von ihrer
formell und/oder materiell recht-mäßigen oder rechtswidrigen Errichtung auch,
wenn sie zum Zeitpunkt der bauaufsichtlichen Beurteilung (z. B. der
Entscheidung über einen Bauantrag oder über bauaufsichtliche Maßnahmen) dem
dann geltenden materiellen Recht entspricht.
Unter diesen Voraussetzungen gilt der
Bestandsschutz sowohl für das der Planung zugrunde liegende
"Brandschutzkonzept" als auch für einzelne Bauteile/Bauprodukte.
1.2 Ist eine bauliche Anlage
bestandsgeschützt, können Anforderungen (nur) gestellt werden, wenn (und
soweit) das zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig
ist (Art. 54 Abs. 4 BayBO).
Für die Feststellung, dass eine
erhebliche Gefahr vorliegt, wird es immer einer Beurteilung der konkreten
Situation vor Ort bedürfen.
Beispielhaft ist von einer erheblichen
Gefahr in Bezug auf den Brandschutz unter anderem dann auszugehen, wenn die
nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für Nutzungseinheiten mit Aufent-haltsräumen
regelmäßig geforderten zwei unabhängigen Rettungswege überhaupt nicht
vorhanden sind oder wenn nur ein Rettungsweg vorhanden und mit Mängeln behaftet
ist, die im Brandfall mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit zur
vorzeitigen Unbenutzbarkeit führen.
Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinn
entsteht nicht bereits allein dadurch, dass sich ge-setzliche Vorschriften im
Laufe der Zeit ändern (vgl. auch HessVGH, Beschl. v. 18.10.1999 – 4 TG
3007/97). Ist eine bauliche Anlage bestandsgeschützt, so ist daher eine
fortwährende Nachrüstung immer auf den Stand der aktuell geltenden Vorschriften
bauordnungsrechtlich nicht veranlasst.
1.3
Der Bestandsschutz endet, wenn Verhältnisse geschaffen werden, die durch
die Bau-genehmigung (einschließlich der genehmigten Bauvorlagen) nicht
abgedeckt und auch nach den nach den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen
jeweils zugrunde zu legenden Vor-schriften nicht zulässig sind. Ein solcher
Verlust des Bestandsschutzes kann sowohl durch bauliche Maßnahmen bewirkt
werden (z. B. unsachgemäße Verlegung von Kabeln oder Leitungen durch Wände
und Decken mit der Folge, dass die Feuerwiderstandsfähigkeit dieser Bauteile
beeinträchtigt wird; Beeinträchtigung der Rettungswege durch nachträglichen
Einbau von Zwischenwänden, Zugangskontrollen etc.) als auch durch
betrieblich/organi-satorische, die Nutzung betreffende Änderungen (z. B.
Einrichtung von Aufenthaltsräumen im Keller, ohne dass die dafür erforderlichen
Rettungswege vorhanden wären, (drastische) Erhöhung der Personenzahl, ohne
dass die bestehenden Rettungswegbreiten darauf ausgelegt wären, Änderung der
Außenanlagen und damit ggf. auch der erforderlichen Flächen für die
Feuerwehr.
Vor diesem Hintergrund ist darauf
hinzuweisen, dass die bauordnungsrechtliche Grund-anforderung des Art. 3 Abs. 1
Satz 1 BayBO, deren generalklauselartige Ausformung in Bezug auf den
Brandschutz in Art. 12 BayBO durch die materiellen Anforderungen der Art. 24 –
44 BayBO konkretisiert wird, sich nicht nur auf die Anordnung, Errichtung
und Änderung baulicher Anlagen bezieht, sondern auch (und in Satz 2
nochmals ausdrücklich) auf deren Instandhaltung.
2.
Änderung im Bestand (Umbau, Nutzungsänderung)
2.1 Bei Umbauten oder
Nutzungsänderungen in bestehenden Gebäuden sind die geltenden
bauordnungsrechtlichen Anforderungen zu beachten. Sie beziehen sich dann
auf die jeweils beabsichtigte Maßnahme, soweit sich diese abgrenzen lässt,
nicht aber von vorneherein regelmäßig auch auf Bereiche, die von der Maßnahme
nicht berührt werden oder gar auf das ganze Gebäude.
2.2 Können bei der beabsichtigten
Maßnahme bestimmte Anforderungen aufgrund der Qualität des Bestands nicht
eingehalten werden (z. B. aus Gründen des Denkmal-schutzes oder wenn der
eigentlich erforderliche Anschluss neu zu errichtender feuer-widerstandsfähiger
Wände/Decken an Bauteile mindestens gleicher Feuerwider-standsfähigkeit nicht
möglich ist, weil die bestehenden Bauteile die erforderliche
Feuerwiderstandsfähigkeit nach den aktuellen Fassungen der einschlägigen
technischen Regeln nicht [mehr] aufweisen), ist unter Berücksichtigung der
konkreten Umstände zu prüfen, ob eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1
Satz 1 BayBO zugelassen werden kann; auch bei Brandschutzvorschriften ist
die Zulassung von Abweichungen nicht generell ausgeschlossen (vgl. BayVGH,
Beschl. v. 03.08.2000 Az. 25 ZB 98.2263 zu bereits im Bestand nicht
eingehaltenen Brandschutz-abständen). Ohne der dazu erforderlichen
Einzelfallbetrachtung vorzugreifen, lässt sich doch feststellen, dass in den
genannten Fällen eine Abweichung in der Regel dann vertretbar sein wird,
wenn und soweit durch die beabsichtigte Maßnahme keine grundlegenden, die
Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Belange berührt werden (z. B. bei der
Sanierung oder dem Austausch von Bauteilen oder wenn lediglich die
Raumkonfiguration geändert werden soll).
2.3 Auch bei bloßen Nutzungsänderungen (ohne
Eingriffe in den baulichen Bestand) ist vom Bauherrn bzw. Entwurfsverfasser zu
prüfen, ob und inwieweit dadurch die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird,
wobei sich je nach Fallgestaltung auch eine getrennte Betrachtung im Hinblick
auf die Standsicherheit (abgesehen von der Feuerwiderstandsfähigkeit der
tragenden und aussteifenden Bauteile) und den Brandschutz ergeben kann: So
werden z. B. bei der Änderung einer Büro-Nutzungseinheit in eine Einrichtung
mit Schulräumen in der Regel sowohl Belange der Standsicherheit, als auch des
Brandschutzes (hier insbesondere im
Hinblick auf die Frage der Rettungswegführung) berührt sein. Dagegen werden
sich bei der Änderung einer (üblichen) Wohnung in ein Büro in der Regel keine
den Brandschutz grundlegend berührenden anderen Belange ergeben, es wird jedoch
für die Decke, auf der sich die Nutzung ändert, ein anderer Lastansatz
vorzunehmen sein.
2.4 Bei einer wesentlichen, die
Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Änderung eines bestehenden Gebäudes, die
sich aber innerhalb des Gebäudes auf einen bestimmten abgrenzbaren Bereich
beschränkt, ist eine Anpassung des gesamten Bestands an die geltende Rechtslage
regelmäßig nicht vorgeschrieben. Nach Art. 54 Abs. 5 BayBO kann verlangt
werden, dass auch von der Änderung nicht berührte Teile mit den geltenden
Vorschriften in Einklang gebracht werden, wenn das aus Gründen des
Art. 3 Abs. 1 BayBO erforderlich und dem Bauherrn wirtschaftlich zumutbar ist
und diese Teile mit den Teilen, die geändert werden sollen, in konstruktivem
Zusammenhang stehen oder unmittelbar mit ihnen verbunden sind.
2.5 Eine in diesem Zusammenhang häufig auftretende
Frage betrifft die Nachrüstung von Türen in den Wänden eines notwendigen
Treppenraums, wenn in einem bestehenden Wohngebäude das Dachgeschoss
ausgebaut werden soll. Hier besteht in der Regel zwischen den Teilen, die
geändert werden sollen (z. B. neu zu errichtenden Wänden oder Türen im
Dachgeschoss) und den von der Änderung nicht berührten Teilen (hier den
Eingangstüren bestehender Wohnungen in den darunter liegenden Geschossen) weder
eine unmittelbare (bauliche) Verbindung noch ein konstruktiver Zusammenhang.
Ferner fordert Art. 54 Abs. 5 BayBO, dass die Maßnahmen aus Gründen des Art. 3 Abs.
1 Satz 1 BayBO erforderlich sind, der bestehende Zustand also – unabhängig von
ihrer speziellen Konkretisierung in der BayBO – bauordnungsrechtlichen Grundanforderungen
widerspricht. Rechtsgrundlage für eine Anordnung, die gezielt und
ausschließlich auf die Abwehr einer auf einem Verstoß gegen Art. 24 ff. BayBO
beruhenden Brandgefahr ausgerichtet ist, ist vielmehr die spezialgesetzlich
vorgehende Vorschrift des Art. 54 Abs. 4 BayBO, für deren Anwendung aber das
Vorliegen einer erheblichen Gefahr vorausgesetzt ist.
2.6 Umgekehrt besteht auch keine Veranlassung, die
von der Änderung nicht berührten Teile eines Gebäudes, die möglicherweise mit
den geltenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen nicht in Einklang stehen, an
die dieses Verlangen aber, wie oben ausgeführt, bauordnungsrechtlich nicht gestellt
wird, durch eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nachträglich bzw.
erneut zu legalisieren.
3.
Brandschutznachweis als Bauvorlage
3.1 Nach Art. 62 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist bei nicht
verfahrensfreien Bauvorhaben (auch in bestehenden Gebäuden) die
Einhaltung der Anforderungen auch an den Brandschutz nachzuweisen.
Bei Bauvorhaben unterhalb der
Sonderbautenschwelle wird sich dies in der Regel auf die in § 11 Abs. 1
Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) thematisch zusammengefassten Grundanforderungen
der BayBO selbst sowie ggf. einschlägige Konkretisierungen durch eingeführte Technische
Baubestimmungen beschränken.
Bei Sonderbauten können, je nach
Fallgestaltung, auch Angaben über die Erfüllung weitergehender Anforderungen (ggf.
aus einer Sonderbauverordnung) erforderlich sein, die in § 11 Abs. 2 BauVorlV
zusammen-gefasst sind.
In beiden Fällen sind Gegenstand des
Brandschutznachweises (nur) die Darstellung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen
und der Nachweis, dass diese eingehalten sind bzw. – bei Abweichungen – dass
die Einhaltung bestimmter Anforderungen im konkreten Fall nicht erforderlich
oder in geeigneter Weise kompensiert ist.
3.2 Davon zu unterscheiden sind
brandschutztechnische Gutachten oder Stellungnahmen zu bestehenden Gebäuden.
Diese können neben einer Bewertung des vorgefundenen Bestands auch Vorschläge
zur Optimierung des Brandschutzes enthalten, die auch sinnvoll oder
wünschenswert sein mögen, die aber bauordnungsrechtlich nicht vorgeschrieben
sind. Wird ein Gutachten dieser Art im Zusammenhang mit einer
genehmigungsbedürftigen Baumaßnahme als Brandschutznachweis vorgelegt, muss die
Bauaufsichtsbehörde bzw. der Prüfsachverständige für Brandschutz davon
ausgehen, dass der Bauherr die darin vorgesehenen Maßnahmen aus guten Gründen
(z. B. Sachschutz, Minimierung des Betriebsausfallrisikos) umsetzen will, und
hat dann zu prüfen, ob die bauordnungsrechtlichen Anforderungen eingehalten,
nicht aber, ob sie möglicherweise "übererfüllt" sind oder ob die
Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll sind. Im Rahmen der verfahrensmäßigen
Behandlung eines Brandschutznachweises ist es nicht Aufgabe der
Bauaufsichtsbehörde bzw. des Prüfsachverständigen, den vorgelegten Nachweis auf
das bauordnungsrechtlich verlangte Mindestniveau "herunterzukorrigieren".
Bei Fragen nach Inhalt und Umfang diese Mindestniveaus für ein konkretes
Bauvorhaben können die Bauaufsichtsbehörden allenfalls im Rahmen einer
Bauberatung vor Antragstellung Hilfestellung leisten, soweit es sich mit ihrer
Funktion als Prüfinstanz vereinbaren lässt. Letztlich ist es aber Sache des
Auftraggebers, zu bestimmen (und bei Erteilung des Auftrags möglichst genau zu
beschreiben), was Gegenstand und Zweck der beauftragten Leistung sein soll.
Quelle: Simet (Ministerialdirigentin)
Oberste Baubehörde im Bayerischen
Staatsministerium des Innern