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Montag, 22. Oktober 2012
Mietrechtsänderungsgesetz - Harsche Kritik von Sachverständigen, Wissenschaftlern, Richtern und Anwälten
(dmb) „Wir brauchen und wollen das Mietrechtsänderungsgesetz nicht. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzesentwurf beschneidet einseitig Mieterrechte, ist sozial ungerecht, schafft keinen Anreiz für Modernisierungen und verhindert keinen Wohnungsbetrug“, erklärte der Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, auf einer Pressekonferenz der Mieterorganisation in Hamburg. „Hier werden unter dem Deckmantel der Energiewende vermieterfreundliche Regelungen durchgesetzt, und mit dem Schlagwort ‚Mietnomaden‘ kommen Regelungen in das Gesetz, die allen rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen.“
Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Mietrechtsänderungsgesetzes am 23. Mai 2012 beschlossen. Der Bundesrat hat das Gesetz am 6. Juli 2012 abgelehnt. Allerdings kann das Gesetz auch ohne Zustimmung des Bundesrates erlassen werden und in Kraft treten. Nach der ersten Lesung des Mietrechtsänderungsgesetzes im Bundestag fand am 15. Oktober 2012 eine Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Das von den Sachverständigen scharf kritisierte Gesetz sieht zurzeit folgende Mietrechtsänderungen vor:
• Das Mietminderungsrecht wird bei energetischen Modernisierungen für drei Monate abgeschafft. Mieter müssen dann die volle Miete zahlen, während sie auf einer Baustelle mit Lärm, Dreck, Einrüstung, Verdunkelung, Heizungs- und Warmwasserausfall leben. Eine vergleichbare Regelung gibt es im Zivilrecht bis heute nicht. Gleichgültig, ob beim Kauf-, Miet-, Reise- oder Werkvertragsrecht – es gilt der Grundsatz: 100 Prozent Leistung nur bei 100 Prozent Gegenleistung.
Mit der Abschaffung des Mietminderungsrechts will die Bundesregierung Hemmnisse für die Vornahme von Modernisierungsmaßnahmen auf Vermieterseite abbauen. Wenn in einem zu modernisierenden 10-Familien-Haus aber tatsächlich zwei Mieter die Miete um 20 Prozent kürzen sollten, wäre das bei einer durchschnittlichen Miete von 600 Euro ein Betrag von 240 Euro im Monat. Kaum vorstellbar, dass ein vernünftig denkender Eigentümer Investitionen in Höhe von etwa 200.000 Euro für das 10-Familien-Haus von diesem Betrag abhängig macht.
• Auch Maßnahmen, durch die lediglich Primärenergie eingespart oder Energie effizienter genutzt wird, gelten als energetische Modernisierungen und lösen Mieterhöhungen aus.
Voraussetzung ist damit nicht mehr, dass Mieter Heizenergie und damit Kosten einsparen können. Selbst wenn der Vermieter eine überalterte Regelungstechnik oder eine völlig unwirtschaftliche Heizungsanlage erneuert, muss der Mieter dies über Mieterhöhungen zahlen.
• Schon nach geltendem Recht entscheidet allein der Vermieter, ob, wann und in welchem Umfang modernisiert wird. Mieterinteressen werden im Rahmen einer Interessenabwägung allenfalls dann berücksichtigt, wenn Mieter sich auf so genannte Härtegründe berufen können. Dann werden die Mieterinteressen mit den Vermieterinteressen verglichen und auch mit den Belangen der Energieeffizienz und des Klimaschutzes.
Neu ist jetzt auch, dass sich Mieter auf Härtegründe künftig nur noch einen Monat lang nach Erhalt der Modernisierungsankündigung berufen können. Eine derartige Frist hat es noch nie gegeben. Da der Vermieter auch nicht verpflichtet sein soll, auf diese Frist hinzuweisen, wird dies dazu führen, dass kaum ein Mieter von seinem Recht Gebrauch machen wird, weil er gar nicht weiß, dass er sich auf Härtegründe berufen kann.
• Unverändert bleibt die bisherige Regelung zur Mieterhöhung nach einer Modernisierung. Danach darf der Vermieter 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen. Fallen Modernisierungskosten von 10.000 Euro für die Mieterwohnung an, bedeutet das, der Vermieter kann die Miete pro Jahr um 1.100 Euro bzw. pro Monat um 91,67 Euro erhöhen. Eine 20.000 Euro teure Modernisierung führt zu einer Mieterhöhung von 183,33 Euro monatlich. Ob und inwieweit aufgrund der energetischen Modernisierung tatsächlich Energie und damit auch Kosten eingespart werden können, spielt bei dieser Form der Mieterhöhung keine Rolle.
• Zahlt der Mieter die Kaution oder Teile dieser Mietsicherheit unpünktlich ein, kann der Vermieter künftig fristlos kündigen.
Damit wird ein neuer und zusätzlicher Kündigungstatbestand geschaffen. Allerdings kann der Vermieter schon nach geltendem Recht bei Vertragsverstößen des Mieters kündigen. Er kann fristlos kündigen, wenn der Mieter an zwei aufeinander folgenden Terminen die Miete nicht zahlt oder wenn er ständig unpünktlich zahlt. Neu ist damit also nur, dass ein immer pünktlich zahlender Mieter, der die Mietkaution nicht überwiesen hat, auch fristlos gekündigt werden kann.
• Bei Streitigkeiten zwischen Mieter und Vermieter über Mietzahlungen oder Mietminderungen im Rahmen eines Räumungsprozesses soll das Gericht anordnen dürfen, dass Mieter den strittigen Geldbetrag hinterlegen müssen. Reagiert der Mieter nicht, kann das Gericht die Räumung der Wohnung per einstweiliger Verfügung anordnen.
Damit wird der Rechtsweg für den Mieter in unangemessener Weise verkürzt. Es könnte zur Räumung der Wohnung kommen, nur weil der Mieter die geforderte Sicherheit nicht oder nicht vollständig erbringen kann. Selbst wenn sich dann im weiteren Verlauf der Rechtsstreitigkeit die Räumungsklage des Vermieters als unbegründet erweist und abgewiesen wird, ist die Wohnung für den Mieter verloren.
„Die geplanten Mietrechtsverschlechterungen beruhen auf einem politischen Versprechen, das CDU/CSU und FDP vor der letzten Bundestagswahl Vermieterverbänden gegenüber abgegeben haben und jetzt einlösen. Eine sachliche Notwendigkeit für die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen gibt es nicht. Mit Ausnahme der Vermieterverbände, die die Vorarbeiten und Formulierungen für das Gesetz geliefert haben und die Mietrechtsänderungen als ‚ihr Gesetz‘ rühmen, haben alle Sachverständigen bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages harsche Kritik an diesem Mietrechtsänderungsgesetz geübt“, erklärte Siebenkotten.
Prof. Dr. Markus Artz, Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Forschungsstelle für Immobilienwirtschaft - Prof. Artz hat unter anderem 2010 ein Gutachten im Auftrag des Bundesbauministeriums zum Thema „Mietnomaden“ erstellt:
Die Einführung eines dreimonatigen Ausschlusses des Mietminderungsrechts bei energetischen Modernisierungen ist ein fundamentaler Eingriff in die Systematik des Gesetzes. Es gibt keinerlei Erkenntnisse, dass sich die kraft Gesetzes eintretende Minderung bisher als Investitionshemmnis für den Vermieter auswirkt. In Anbetracht erheblicher Investitionen in eine Immobilie bei der energetischen Modernisierung erscheint es zweifelhaft, dass die Befürchtung, während der ersten drei Monate nicht die volle Miete zu erzielen, entscheidungserheblich für den Vermieter ist. Durch den Ausschluss des Mietminderungsrechts bei energetischen Modernisierungen treten streitträchtige und schwer handhabbare neue Abgrenzungsprobleme zu den regelmäßig gleichzeitig stattfindenden Instandsetzungsmaßnahmen auf.
Die Einführung eines neuen Kündigungsgrundes „ausbleibende Kautionszahlungen“ ist nicht sinnvoll.
Die Einführung einer Sicherungsanordnung wird uneingeschränkt und entschieden abgelehnt. Der Gesetzesentwurf verdient fundamentale Kritik. Besonders kritikwürdig ist die Regelung der Rechtsfolgen unterbliebener Sicherheitsleistungen. Die Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft ist unzweifelhaft verfassungswidrig. Die Möglichkeit, die Räumung der Wohnung durch einstweilige Verfügung anzuordnen, wird ebenso abgelehnt. Hierdurch wird im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Hauptsache vorweggenommen.
Dr. Ulf Börstinghaus, Richter am Amtsgericht Dortmund - Börstinghaus ist Autor zahlreicher mietrechtlicher Fachbücher, Kommentator bzw. Herausgeber verschiedenster Mietrechtskommentare, außerdem Vorsitzender des Deutschen Mietgerichtstags:
Der Ausschluss des Mietminderungsrechts ist dogmatisch völlig verfehlt und stellt materiell eine zusätzliche, ansonsten nicht durchsetzbare Mieterhöhung dar. Die Vorschrift wird in der Praxis zu Anwendungsproblemen führen, weil es zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen wird, die nur mit teuren Sachverständigengutachten geklärt werden können.
Ein fairer Interessenausgleich erfordert es, dass bei der Modernisierungsankündigung Vermieter auf die Notwendigkeit, Härtegründe binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, hinweisen.
Die Einführung einer Sicherungsanordnung wird abgelehnt. Die Regelung ist völlig überflüssig und unpraktikabel.
Eine Räumung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist energisch abzulehnen. Sie ist rechtsstaatlich mehr als bedenklich, sie widerspricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen. Die Entscheidung in der Hauptsache wird vorweggenommen.
Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen werden das Phänomen des Mietnomadentums nichts ansatzweise bekämpfen. Vielmehr wird das so genannte Mietnomadentum benutzt, um damit massive Eingriffe in das Miet- und Mietprozessrecht zu rechtfertigen.
Dr. Werner Hinz, Vorsitzender Richter am Landgericht Itzehoe – Hinz ist außerdem mietrechtlicher Fachbuchautor und Kommentator:
Aus Sicht der Praxis lässt der Minderungsausschluss eine Fülle von neuen Rechtsproblemen erwarten.
Die Ausschlussfrist für Härtegründe muss gekoppelt werden an eine Hinweisobliegenheit des Vermieters.
Er fragt sich, ob die Aufnahme der Sicherungsanordnung und die Räumung der Wohnung aufgrund einer einstweiligen Verfügung überhaupt sinnvoll sind. Aller Voraussicht nach werden sich hieraus in erheblichem Umfang Streitigkeiten ergeben.
Dr. Cornelia Ziehm, Rechtsanwältin aus Berlin – Cornelia Ziehm ist Leiterin Klimaschutz und Energiewende bei der Deutschen Umwelthilfe:
Der Gesetzesentwurf setzt keine effektiven Anreize zur energetischen Modernisierung. Sollte er geltendes Recht werden, würde statt einer dezidierten Anreizung von energetischen Sanierungen vermieterfreundlichen Luxussanierungen Vorschub geleistet und das Mietrecht zu Lasten der Mieter verschoben werden, ohne dass grundlegende tatsächliche Fortschritte im Bereich der energetischen Gebäudesanierung und damit für den Klimaschutz zu erwarten sind.
Der Mieter soll selbst dann, wenn die Einsparung nicht erneuerbarer Primärenergie nicht zu einer Verringerung seiner Heiz- und Warmwasserkosten führt, die Modernisierungsmaßnahme ohne jede Mietminderung dulden und außerdem noch eine bis zu 11-prozentige Mieterhöhung gegen sich gelten lassen müssen. Eine solche Regelung widerspricht der gebotenen Ausgewogenheit des Mietrechts.
Die Energiewende wird als gesamtgesellschaftliche Aufgabe nur dann gelingen, wenn sie Akzeptanz erfährt und sozialgerecht erfolgt. Die beabsichtigte Regelung konterkariert diesen Anspruch. Es drängt sich der Eindruck auf, dass unter dem Deckmantel des Klimaschutzes vermieterfreundliche Sanierungen von Mietwohnungen durch Ausschluss von Mietminderungsmöglichkeiten durchgesetzt werden sollen.
Die Möglichkeit einer Sicherheitsanordnung und einer Wohnraumräumung im Wege der einstweiligen Verfügung wird Mietmonaden schwerlich von ihrem strafbaren Handeln abbringen. Vor diesem Hintergrund drängt sich der Eindruck auf, dass das populäre Schlagwort des Mietnomadentums genutzt wird, um en passant den Rechtsschutz in Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich zu verkürzen.
Klaus Schach, Vorsitzender Richter am Landgericht a.D. – Schach ist Autor und Herausgeber verschiedener Mietrechtskommentare:
Der Ausschluss des Mietminderungsrechts ist systemwidrig und greift in das Prinzip der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ein. Das stellt sich als mehr als bedenklich dar und dürfte auch das verfassungsrechtliche Grundrecht des Mieters in Form eines Eigentumsrechts an der Wohnung tangieren.
Die Sicherungsanordnung ist mehr als fragwürdig, in der Einzelregelung missverständlich und unklar. Vor allem wegen der Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Verfügung auf Räumung von Wohnraum müssen im Hinblick auf die Sicherungsanordnung die Alarmglocken läuten.
Eine derartige Regelung, wie die einstweilige Verfügung zur Räumung der Wohnung, hat es in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland hat es wohl noch nicht gegeben.