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Mittwoch, 8. Mai 2013

Brandschutz in bestehenden Gebäuden





In letzter Zeit wurde vermehrt die Frage gestellt, welche – und in welchem Umfang – Brandschutzanforderungen bei Maßnahmen in bestehenden Gebäuden gelten. Wir nehmen dies zum Anlass für nachfolgende Hinweise:

1. Bestandsschutz

1.1 Bestandsgeschützt ist eine bauliche Anlage, wenn sie genehmigt und genehmigungs-konform errichtet worden ist ("formeller Bestandsschutz")

oder

wenn sie zum Zeitpunkt ihrer Errichtung dem geltenden Recht entsprochen hat ("materieller Bestandsschutz") und danach jeweils nicht rechtswidrig geändert worden ist. Bestands-geschützt ist die bauliche Anlage unabhängig von ihrer formell und/oder materiell recht-mäßigen oder rechtswidrigen Errichtung auch, wenn sie zum Zeitpunkt der bauaufsichtlichen Beurteilung (z. B. der Entscheidung über einen Bauantrag oder über bauaufsichtliche Maßnahmen) dem dann geltenden materiellen Recht entspricht.

Unter diesen Voraussetzungen gilt der Bestandsschutz sowohl für das der Planung zugrunde liegende "Brandschutzkonzept" als auch für einzelne Bauteile/Bauprodukte.

1.2 Ist eine bauliche Anlage bestandsgeschützt, können Anforderungen (nur) gestellt werden, wenn (und soweit) das zur Abwehr erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist (Art. 54 Abs. 4 BayBO).

Für die Feststellung, dass eine erhebliche Gefahr vorliegt, wird es immer einer Beurteilung der konkreten Situation vor Ort bedürfen.

Beispielhaft ist von einer erheblichen Gefahr in Bezug auf den Brandschutz unter anderem dann auszugehen, wenn die nach Art. 31 Abs. 1 BayBO für Nutzungseinheiten mit Aufent-haltsräumen regelmäßig geforderten zwei unabhängigen Rettungswege überhaupt nicht vorhanden sind oder wenn nur ein Rettungsweg vorhanden und mit Mängeln behaftet ist, die im Brandfall mit hinreichend großer Wahrscheinlichkeit zur vorzeitigen Unbenutzbarkeit führen.

Eine erhebliche Gefahr in diesem Sinn entsteht nicht bereits allein dadurch, dass sich ge-setzliche Vorschriften im Laufe der Zeit ändern (vgl. auch HessVGH, Beschl. v. 18.10.1999 – 4 TG 3007/97). Ist eine bauliche Anlage bestandsgeschützt, so ist daher eine fortwährende Nachrüstung immer auf den Stand der aktuell geltenden Vorschriften bauordnungsrechtlich nicht veranlasst.

1.3  Der Bestandsschutz endet, wenn Verhältnisse geschaffen werden, die durch die Bau-genehmigung (einschließlich der genehmigten Bauvorlagen) nicht abgedeckt und auch nach den nach den unter 1.1 dargestellten Grundsätzen jeweils zugrunde zu legenden Vor-schriften nicht zulässig sind. Ein solcher Verlust des Bestandsschutzes kann sowohl durch bauliche Maßnahmen bewirkt werden (z. B. unsachgemäße Verlegung von Kabeln oder Leitungen durch Wände und Decken mit der Folge, dass die Feuerwiderstandsfähigkeit dieser Bauteile beeinträchtigt wird; Beeinträchtigung der Rettungswege durch nachträglichen Einbau von Zwischenwänden, Zugangskontrollen etc.) als auch durch betrieblich/organi-satorische, die Nutzung betreffende Änderungen (z. B. Einrichtung von Aufenthaltsräumen im Keller, ohne dass die dafür erforderlichen Rettungswege vorhanden wären, (drastische) Erhöhung der Personenzahl, ohne dass die bestehenden Rettungswegbreiten darauf ausgelegt wären, Änderung der Außenanlagen und damit ggf. auch der erforderlichen Flächen für die Feuerwehr.

Vor diesem Hintergrund ist darauf hinzuweisen, dass die bauordnungsrechtliche Grund-anforderung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO, deren generalklauselartige Ausformung in Bezug auf den Brandschutz in Art. 12 BayBO durch die materiellen Anforderungen der Art. 24 – 44 BayBO konkretisiert wird, sich nicht nur auf die Anordnung, Errichtung und Änderung baulicher Anlagen bezieht, sondern auch (und in Satz 2 nochmals ausdrücklich) auf deren Instandhaltung.

2. Änderung im Bestand (Umbau, Nutzungsänderung)

2.1 Bei Umbauten oder Nutzungsänderungen in bestehenden Gebäuden sind die geltenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen zu beachten. Sie beziehen sich dann auf die jeweils beabsichtigte Maßnahme, soweit sich diese abgrenzen lässt, nicht aber von vorneherein regelmäßig auch auf Bereiche, die von der Maßnahme nicht berührt werden oder gar auf das ganze Gebäude.

2.2 Können bei der beabsichtigten Maßnahme bestimmte Anforderungen aufgrund der Qualität des Bestands nicht eingehalten werden (z. B. aus Gründen des Denkmal-schutzes oder wenn der eigentlich erforderliche Anschluss neu zu errichtender feuer-widerstandsfähiger Wände/Decken an Bauteile mindestens gleicher Feuerwider-standsfähigkeit nicht möglich ist, weil die bestehenden Bauteile die erforderliche Feuerwiderstandsfähigkeit nach den aktuellen Fassungen der einschlägigen technischen Regeln nicht [mehr] aufweisen), ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu prüfen, ob eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO zugelassen werden kann; auch bei Brandschutzvorschriften ist die Zulassung von Abweichungen nicht generell ausgeschlossen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 03.08.2000 Az. 25 ZB 98.2263 zu bereits im Bestand nicht eingehaltenen Brandschutz-abständen). Ohne der dazu erforderlichen Einzelfallbetrachtung vorzugreifen, lässt sich doch feststellen, dass in den genannten Fällen eine Abweichung in der Regel dann vertretbar sein wird, wenn und soweit durch die beabsichtigte Maßnahme keine grundlegenden, die Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Belange berührt werden (z. B. bei der Sanierung oder dem Austausch von Bauteilen oder wenn lediglich die Raumkonfiguration geändert werden soll).

2.3  Auch bei bloßen Nutzungsänderungen (ohne Eingriffe in den baulichen Bestand) ist vom Bauherrn bzw. Entwurfsverfasser zu prüfen, ob und inwieweit dadurch die Genehmigungsfrage neu aufgeworfen wird, wobei sich je nach Fallgestaltung auch eine getrennte Betrachtung im Hinblick auf die Standsicherheit (abgesehen von der Feuerwiderstandsfähigkeit der tragenden und aussteifenden Bauteile) und den Brandschutz ergeben kann: So werden z. B. bei der Änderung einer Büro-Nutzungseinheit in eine Einrichtung mit Schulräumen in der Regel sowohl Belange der Standsicherheit, als auch des
Brandschutzes (hier insbesondere im Hinblick auf die Frage der Rettungswegführung) berührt sein. Dagegen werden sich bei der Änderung einer (üblichen) Wohnung in ein Büro in der Regel keine den Brandschutz grundlegend berührenden anderen Belange ergeben, es wird jedoch für die Decke, auf der sich die Nutzung ändert, ein anderer Lastansatz vorzunehmen sein.

2.4 Bei einer wesentlichen, die Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Änderung eines bestehenden Gebäudes, die sich aber innerhalb des Gebäudes auf einen bestimmten abgrenzbaren Bereich beschränkt, ist eine Anpassung des gesamten Bestands an die geltende Rechtslage regelmäßig nicht vorgeschrieben. Nach Art. 54 Abs. 5 BayBO kann verlangt werden, dass auch von der Änderung nicht berührte Teile mit den geltenden Vorschriften in Einklang gebracht werden, wenn das aus Gründen des Art. 3 Abs. 1 BayBO erforderlich und dem Bauherrn wirtschaftlich zumutbar ist und diese Teile mit den Teilen, die geändert werden sollen, in konstruktivem Zusammenhang stehen oder unmittelbar mit ihnen verbunden sind.

2.5  Eine in diesem Zusammenhang häufig auftretende Frage betrifft die Nachrüstung von Türen in den Wänden eines notwendigen Treppenraums, wenn in einem bestehenden Wohngebäude das Dachgeschoss ausgebaut werden soll. Hier besteht in der Regel zwischen den Teilen, die geändert werden sollen (z. B. neu zu errichtenden Wänden oder Türen im Dachgeschoss) und den von der Änderung nicht berührten Teilen (hier den Eingangstüren bestehender Wohnungen in den darunter liegenden Geschossen) weder eine unmittelbare (bauliche) Verbindung noch ein konstruktiver Zusammenhang. Ferner fordert Art. 54 Abs. 5 BayBO, dass die Maßnahmen aus Gründen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderlich sind, der bestehende Zustand also – unabhängig von ihrer speziellen Konkretisierung in der BayBO – bauordnungsrechtlichen Grundanforderungen widerspricht. Rechtsgrundlage für eine Anordnung, die gezielt und ausschließlich auf die Abwehr einer auf einem Verstoß gegen Art. 24 ff. BayBO beruhenden Brandgefahr ausgerichtet ist, ist vielmehr die spezialgesetzlich vorgehende Vorschrift des Art. 54 Abs. 4 BayBO, für deren Anwendung aber das Vorliegen einer erheblichen Gefahr vorausgesetzt ist.

2.6  Umgekehrt besteht auch keine Veranlassung, die von der Änderung nicht berührten Teile eines Gebäudes, die möglicherweise mit den geltenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen nicht in Einklang stehen, an die dieses Verlangen aber, wie oben ausgeführt, bauordnungsrechtlich nicht gestellt wird, durch eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nachträglich bzw. erneut zu legalisieren.

3. Brandschutznachweis als Bauvorlage

3.1  Nach Art. 62 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist bei nicht verfahrensfreien Bauvorhaben (auch in bestehenden Gebäuden) die Einhaltung der Anforderungen auch an den Brandschutz nachzuweisen.

Bei Bauvorhaben unterhalb der Sonderbautenschwelle wird sich dies in der Regel auf die in § 11 Abs. 1 Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) thematisch zusammengefassten Grundanforderungen der BayBO selbst sowie ggf. einschlägige Konkretisierungen durch eingeführte Technische Baubestimmungen beschränken.

Bei Sonderbauten können, je nach Fallgestaltung, auch Angaben über die Erfüllung weitergehender Anforderungen (ggf. aus einer Sonderbauverordnung) erforderlich sein, die in § 11 Abs. 2 BauVorlV zusammen-gefasst sind.

In beiden Fällen sind Gegenstand des Brandschutznachweises (nur) die Darstellung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen und der Nachweis, dass diese eingehalten sind bzw. – bei Abweichungen – dass die Einhaltung bestimmter Anforderungen im konkreten Fall nicht erforderlich oder in geeigneter Weise kompensiert ist.

3.2  Davon zu unterscheiden sind brandschutztechnische Gutachten oder Stellungnahmen zu bestehenden Gebäuden. Diese können neben einer Bewertung des vorgefundenen Bestands auch Vorschläge zur Optimierung des Brandschutzes enthalten, die auch sinnvoll oder wünschenswert sein mögen, die aber bauordnungsrechtlich nicht vorgeschrieben sind. Wird ein Gutachten dieser Art im Zusammenhang mit einer genehmigungsbedürftigen Baumaßnahme als Brandschutznachweis vorgelegt, muss die Bauaufsichtsbehörde bzw. der Prüfsachverständige für Brandschutz davon ausgehen, dass der Bauherr die darin vorgesehenen Maßnahmen aus guten Gründen (z. B. Sachschutz, Minimierung des Betriebsausfallrisikos) umsetzen will, und hat dann zu prüfen, ob die bauordnungsrechtlichen Anforderungen eingehalten, nicht aber, ob sie möglicherweise "übererfüllt" sind oder ob die Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll sind. Im Rahmen der verfahrensmäßigen Behandlung eines Brandschutznachweises ist es nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde bzw. des Prüfsachverständigen, den vorgelegten Nachweis auf das bauordnungsrechtlich verlangte Mindestniveau "herunterzukorrigieren". Bei Fragen nach Inhalt und Umfang diese Mindestniveaus für ein konkretes Bauvorhaben können die Bauaufsichtsbehörden allenfalls im Rahmen einer Bauberatung vor Antragstellung Hilfestellung leisten, soweit es sich mit ihrer Funktion als Prüfinstanz vereinbaren lässt. Letztlich ist es aber Sache des Auftraggebers, zu bestimmen (und bei Erteilung des Auftrags möglichst genau zu beschreiben), was Gegenstand und Zweck der beauftragten Leistung sein soll.


Quelle: Simet (Ministerialdirigentin)


Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern