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Donnerstag, 22. Dezember 2011

Altersdiskriminierung durch Eigenbedarfskündigung?

Das LG Frankfurt hat am 23.08.2011 - 2-11 S 110/11 - über eine Eigenbedarfskündigung entschieden, die durchaus unterschiedliche Einschätzungen auslösen kann.

Zum Sachverhalt:
Der klagende Vermieter hat 1996 eine Eigentumswohnung erworben, in der der beklagte Mieter seit 1971 lebt. Er ist 84 Jahre alt, multipel erkrankt und schwer behindert. Der Grad der Schwerbehinderung beträgt 100. Darüber hinaus ist er pflegebedürftig. Die Schwerbehinderung beruht auf einem vor 34 Jahren erlittenen Darmkrebs. Auf Grund eines Bandscheibenvorfalls vor 34 Jahren besteht eine Gehbehinderung. Infolge eines Rückenmarkinfarkts ist die linke Hand gelähmt; aktuell beginnt die rechte Hand steif zu werden. Der Pflegedienst wird von seinem Sohn, der ebenfalls in der Wohnung lebt, erbracht.

Das Gericht hat die Eigenbedarfskündigung als wirksam erachtet und die Entscheidung auf folgende Umstände gestützt: Die Größe der derzeit vom Kläger angemieteten Wohnung betrage nur 54m². Dies sei für die Eheleute und ihre beiden Kinder nicht ausreichend, während die streitgegenständliche Wohnung mit einer Größe von 68m² erheblich größer und damit geeignet sei, den Kindern eine bessere Entwicklung zu ermöglichen. Die Wohnung befinde sich darüber hinaus in der Nähe der Schule der beiden Kinder und der Weg zur Arbeit habe sich für den Kläger verkürzt. Die Nutzung der eigenen Wohnung trage darüber hinaus zu einer Verbesserung der finanziellen Verhältnisse bei. Der Vermieter sei nicht in der Lage, eine vergleichbare Wohnung anzumieten.

Das Gericht führt in den Entscheidungsgründen aus, dass es nicht verkenne, dass das hohe Lebensalter des Mieters, die lange Wohndauer und insbesondere die gesundheitlichen Beeinträchtigungen ein besonderes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses begründe und dessen Beendigung deshalb eine erhebliche Härte für den Mieter darstelle. Bei einer Abwägung des Interesses des Klägers an der Erlangung der Wohnung und des Interesses des beklagten Mieters am Fortbestand des Mietverhältnisses überwiege jedoch das Interesse des Klägers, sodass das Bestandsinteresse des Mieters zurücktreten müsse. Dabei habe das Gericht insbesondere berücksichtigt, dass der vom klagenden Vermieter gewünschte Umzug in die eigene Wohnung für die weitere Entwicklung seiner beiden Kinder förderlich sei. Dagegen sei das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass ein Umzug des Mieters zu einer drastischen dauerhaften Verschlechterung seiner Lebenssituation bzw. einer akuten Gefährdung seiner Gesundheit oder gar seines Lebens führe.

Trotz seines Alters und der erheblichen Leiden (die zum Teil schon seit Jahrzehnten bestehen) sei der beklagte Mieter noch ausreichend mobil und orientiert, sodass ihm ein Umzug in ein geeignetes Wohnumfeld zumutbar sei. Um die Härte abzufedern, die der Umzug für den Beklagten bedeute, sei es angemessen, die bereits in erster Instanz gewährte Räumungsfrist nochmals um 2 Monate zu verlängern.

Das Landgericht Frankfurt hat bei alledem wohl verkannt, dass der beklagte Mieter vergeblich nach einer Ersatzwohnung suchen wird. Es hat den Blick vor der Tatsache verschlossen, dass sich Vermieter angesichts großer Nachfrage im Großraum Frankfurt ihre Mieter "raussuchen" können und der alte Herr voraussichtlich der Obdachlosigkeit anheim fallen wird, wenn er, was ihm wirtschaftlich nicht möglich sein dürfte, keinen Platz in einem Pflegeheim erhält.

Es wird häufig - zu Recht - beklagt, dass das Mietrecht zu mieterfreundlich sei. Aber es gibt offensichtlich auch Auswüchse in die "andere" Richtung. Es hört sich deshalb etwas zynisch an, wenn das Gericht feststellt, dass der Widerspruch des multipel erkrankten Mieters gegen die Kündigung durch ein vorrangiges Mieterinteresse daran - so wörtlich - "überlagert" sein könne, weil sich der gewünschte Umzug in die eigene - größere - Wohnung für die weitere Entwicklung der beiden Kinder des Vermieters - ebenfalls wörtlich - als "äußerst vorteilhaft" erweise.